ABC – Anything but Chardonnay? Ein Aufruf zur Rehabilitierung einer Rebsorte
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Jochen Mössner
- MAGAZIN
- 29.04.2025

Es gibt in der Weinwelt eine Abkürzung, die so manchem Chardonnay-Liebhaber ein Stirnrunzeln entlockt: ABC – Anything but Chardonnay. Was einst als charmante Provokation begann, hat sich für viele zu einem Lebensmotto entwickelt. „Alles, nur kein Chardonnay!“ sagen sie, mit dem gleichen Ernst wie andere „Keine Ananas auf Pizza!“. Aber warum eigentlich?
Die Abneigung hat Geschichte. In den 80er- und 90er-Jahren wurde Chardonnay vor allem in den USA inflationär ausgebaut – oft überreif, überholzt und mit mehr Butter als ein französisches Croissant. Der Markt war übersättigt mit schwerfälligen Weinen, die nach Vanille, Toast und Eiche schmeckten, aber kaum nach Traube. So wurde Chardonnay für viele zum Synonym für Langeweile und Übereifer im Barrique-Keller.
Doch heute? Chardonnay hat sich längst neu erfunden. Moderne Winzer zähmen den Holzeinsatz, spielen mit Frische, Mineralität und Terroir. Ein kühler, mineralischer Chablis aus dem Norden Burgunds hat mit einem kalifornischen Buttermalstrom so viel gemeinsam wie ein Riesling mit einer Piña Colada.
Das Problem ist also nicht der Chardonnay. Es ist unser Erinnerungsvermögen, das sich an die schlimmsten Versionen klammert – statt offen zu bleiben für neue Interpretationen. Chardonnay ist die Chamäleon-Rebe schlechthin: Sie kann alles von cremig bis knochentrocken, von exotisch bis zitronig-straff. Sie ist – pardon – das Weißwein-Pendant zum kleinen Schwarzen: Wenn gut gemacht, passt sie (fast) immer.
Also vielleicht ist es Zeit, ABC neu zu denken. Nicht „Anything but Chardonnay“, sondern „A Better Chardonnay“. Offenbar trinken wir ihn ja sowieso heimlich weiter – wir nennen ihn nur anders: Chablis, Côte de Beaune, Blanc de Blancs…
Und wer’s ganz radikal mag: Einfach mal einen deutschen Chardonnay vom ambitionierten Winzer probieren. Die Rebsorte sagt Danke – und wir vielleicht auch.