Deklarationspflicht für Wein
- Jochen Mössner
- MAGAZIN
- 27.11.2024
Warum finde ich plötzlich Nährwertangaben und Zusatzstoffe wie E334 auf dem Weinetikett?
Wein, ein Naturprodukt? Für viele Menschen ist das die feste Überzeugung – doch ein Blick auf die neuen Etiketten zeigt eine andere Realität. Mit der EU-weiten Deklarationspflicht, die seit Dezember 2023 gilt, wird sichtbar, was bislang hinter verschlossenen Kellertüren geschah. Neben Trauben tauchen auf den Flaschen plötzlich Begriffe wie E334 (Weinsäure), E296 (Apfelsäure) oder E270 (Milchsäure) auf. Für manchen Konsumenten wirkt das irritierend: Warum enthält ein vermeintlich reines Naturprodukt solche Zusätze? Und was hat es mit den neuen Nährwertangaben auf sich?
Mehr Transparenz auf dem Etikett
Die EU hat die Deklarationspflicht eingeführt, um Verbrauchern mehr Transparenz zu bieten. Ab sofort müssen auf jedem Weinetikett zwei zentrale Informationen stehen:
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Nährwertangaben
- Kaloriengehalt pro 100 ml
- Mengenangaben zu Fett, Kohlenhydraten (inkl. Zucker), Eiweiß und Salz
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Inhaltsstoffe und Zusatzstoffe
- Neben den verwendeten Trauben auch Zusatzstoffe wie Sulfite, Klärmittel oder Konservierungsstoffe.
Diese Angaben können entweder direkt auf dem Etikett oder digital über einen QR-Code abrufbar sein.
Was steckt hinter den Zusatzstoffen?
Die Vorstellung, dass Wein nur aus Trauben besteht, ist romantisch, aber unvollständig. Zusatzstoffe werden seit Jahrzehnten verwendet, um den Geschmack zu steuern, die Stabilität zu sichern oder den Wein haltbarer zu machen. Einige der häufigsten Zusätze sind:
- E334 (Weinsäure) und E330 (Zitronensäure): Regulieren die Säurebalance im Wein.
- E296 (Apfelsäure): Verleiht bestimmten Weinen eine fruchtigere Note.
- E466 (Carboxymethylcellulose): Stabilisiert den Wein und verhindert die Bildung von Kristallen.
- E220 (Schwefeldioxid): Wirkt antioxidativ und verhindert frühzeitiges Verderben.
Für viele Verbraucher sind diese Bezeichnungen neu, was zu Verunsicherung führen kann. Gleichzeitig ermöglicht die Offenlegung eine informierte Kaufentscheidung, insbesondere für Menschen mit Unverträglichkeiten oder spezielle Ernährungsgewohnheiten wie Veganismus.
Wichtig ist jedoch: Diese Zusatzstoffe sind keine Gefahr für die Gesundheit. Alle zugelassenen Stoffe wurden intensiv geprüft und erfüllen strenge EU-Standards. Sie werden in sehr geringen Mengen eingesetzt, die weit unter den gesundheitlich bedenklichen Grenzwerten liegen. Verbraucher müssen also keine Angst vor den Angaben auf dem Etikett haben. Sie sind vielmehr eine Chance, die Herstellung des Weins transparenter und nachvollziehbarer zu machen.
Die neue Deklarationspflicht in der EU gilt für alle Weine, die vor dem 08.12.2023 produziert wurden.
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Betroffene Jahrgänge:
Die Regelung betrifft primär Weine des Jahrgangs 2024 und spätere Jahrgänge. Denn für Weine die bis zum 08.12.2023 den erforderlichen Mindestalkohol- und Säuregehalt erreicht haben, gilt die neue Deklarationspflicht noch nicht. -
Ältere Jahrgänge:
Müssen nicht nachträglich umetikettiert werden. Winzer und Händler dürfen diese Weine weiterhin mit den alten Etiketten verkaufen, bis die Bestände aufgebraucht sind. -
Schaumweine und andere Kategorien:
Die Regelung gilt ebenso für Schaumweine, Perlweine, Likörweine und aromatisierte Weinerzeugnisse.
Die Einführung der Deklarationspflicht bedeutet also, dass Verbraucher spätestens ab Ende 2024 vermehrt auf die neuen Etiketten mit Nährwertangaben und Inhaltsstoffen treffen werden, insbesondere bei Weinen des aktuellen Jahrgangs.
Was bedeutet das für Verbraucher?
Die neuen Etiketten bringen vor allem eines: Klarheit. So erfahren Konsumenten nun, dass ein Glas Wein je nach Restzucker und Alkoholgehalt 80 bis 120 Kalorien enthält. Auch Hinweise auf tierische Hilfsmittel wie Gelatine oder Eiweiß, die zur Klärung verwendet werden, könnten Veganer oder Allergiker beeinflussen.
Für bewusste Genießer bietet sich zudem die Chance, Weine zu bevorzugen, die ohne viele Zusätze auskommen. Besonders kleine Weingüter mit Fokus auf natürliche Herstellungsverfahren können durch die neuen Regelungen ihr Handwerk stärker hervorheben.
Herausforderungen für Winzer
Während die Transparenz für Verbraucher positiv ist, stellt die Deklarationspflicht viele Winzer vor große Herausforderungen. Besonders kleinere Betriebe sehen sich mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand konfrontiert. Neue Etiketten müssen gestaltet, chemische Analysen durchgeführt und die Logistik angepasst werden. Kritiker befürchten, dass diese Belastung vor allem traditionelle Weingüter und Familienbetriebe unter Druck setzen könnte.
Fazit: Ein Schritt Richtung Transparenz
Die neue Deklarationspflicht ist ein wichtiger Schritt in Richtung Verbraucherschutz und Transparenz. Sie bringt Licht in eine Branche, die lange auf Tradition und Geheimnisse setzte. Doch der Wandel ist nicht ohne Stolpersteine: Während Verbraucher profitieren, stehen Produzenten vor der Aufgabe, Transparenz und Authentizität in Einklang zu bringen. Fest steht: Der Blick auf das Etikett wird ab jetzt nicht nur Weinkennern, sondern auch kritischen Verbrauchern neue Einblicke in die Welt des Weins ermöglichen.
Auch die Frage nach der Art der Deklaration sorgt für Kontroversen: Während QR-Codes eine elegante Lösung darstellen, bemängeln Kritiker, dass ältere Zielgruppen oder Menschen ohne Smartphone möglicherweise von den Informationen ausgeschlossen werden.
Ein Blick in die Zukunft
Die Deklarationspflicht ist ein Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz in der Weinbranche. Ob sie sich langfristig als Vorteil oder Bürde erweist, hängt davon ab, wie flexibel die Produzenten darauf reagieren und wie sehr Verbraucher die neuen Informationen schätzen. Fest steht: Die Zeiten, in denen Wein allein durch Etikettenästhetik und wohlklingende Lagenamen verkaufte, sind vorbei. Heute zählt auch das, was im Kleingedruckten steht – oder hinter einem QR-Code verborgen ist.