Müller-Thurgau oder auch Rivaner
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Jochen Mössner
- MAGAZIN
- 04.02.2025

Müller-Thurgau: Die vielseitige Rebsorte mit Schweizer-Wurzeln
Müller-Thurgau, heute auch unter dem Namen Rivaner bekannt, ist eine der traditionsreichsten und zugleich unterschätztesten Rebsorten Deutschlands. Doch woher stammt die Rebe eigentlich, warum trägt sie zwei Namen, und was macht sie so besonders?
Herkunft: Ein Schweizer Pionier
Die Geschichte von Müller-Thurgau beginnt im späten 19. Jahrhundert mit Hermann Müller, einem Schweizer Rebforscher aus dem Kanton Thurgau. Nachdem er 1882 in Geisenheim die Rebsorte gezüchtet hatte – lange Zeit glaubte man, es handle sich um eine Kreuzung aus Riesling und Silvaner, doch moderne Analysen zeigen, dass Riesling und Madeleine Royale die tatsächlichen Eltern sind –, kehrte Müller in die Schweiz zurück. In Wädenswil am Zürichsee widmete er sich der Weiterentwicklung und Kultivierung seiner neuen Züchtung. Dort legte er die Basis für eine Rebsorte, die bald internationale Bekanntheit erlangen sollte.
Schmuggel an den Bodensee: Die Familie Röhrenbach
Von Wädenswil aus fand die Rebsorte den Weg über den Bodensee – und das auf abenteuerliche Weise. Die Familie Röhrenbach aus dem malerischen Kippenhausen bei Immenstaad spielte eine zentrale Rolle dabei, Müller-Thurgau ans deutsche Ufer des Bodensees zu bringen.
Die Röhrenbachs, eine traditionsreiche Winzerfamilie, unterhielten enge Kontakte zu Schweizer Winzern und erfuhren früh von der neuen Rebsorte, die durch ihre Robustheit und hohen Ertrag überzeugte. Doch der offizielle Import von Rebstöcken war damals durch strenge Zollbestimmungen erschwert, weshalb sich die Familie etwas einfallen ließ.
Wie es in den Erzählungen überliefert ist, wurden die jungen Rebstöcke in Kisten gepackt und unter dicken Fischernetzen verborgen. So getarnt wurden sie bei Nacht in kleinen Booten über den Bodensee gebracht.
Einmal sicher am deutschen Ufer angekommen, pflanzte die Familie die Reben heimlich in ihren Weinbergen bei Kippenhausen an. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Die neuen Pflanzen gediehen prächtig in den milden klimatischen Bedingungen des Bodensees. Schon bald folgten andere Winzer dem Beispiel der Röhrenbachs, und Müller-Thurgau wurde zur bedeutendsten Rebsorte der Region.
Vom Müller-Thurgau zum Rivaner: Zwei Namen, ein Erfolg
In den 1970er- und 1980er-Jahren erlebte Müller-Thurgau seinen Höhepunkt und war die meistangebaute Rebsorte Deutschlands. Doch der Erfolg hatte seine Schattenseiten: Überproduktion und teils qualitativ schwache Weine führten dazu, dass der Ruf der Rebsorte litt.
Die Herausforderung der hohen Erträge
Müller-Thurgau ist von Natur aus eine sehr ertragreiche Rebsorte. Diese Eigenschaft machte sie nach ihrer Einführung im 20. Jahrhundert besonders beliebt, da sie es den Winzern ermöglichte, große Mengen an Wein zu produzieren. Doch genau hier liegt das Problem: Hohe Erträge gehen oft zulasten der Qualität. Die Aromen in den Trauben werden „verwässert“, die Säurestruktur wird unausgewogen, und die Weine wirken eindimensional und belanglos.
Qualität durch Reduktion
Die Kunst, hochwertigen Müller-Thurgau zu erzeugen, liegt in der Ertragsreduzierung. Winzer greifen hierbei zu mehreren Maßnahmen:
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Grüne Lese: Ein Teil der Trauben wird bereits früh in der Wachstumsphase entfernt. Dadurch konzentrieren sich die Nährstoffe auf die verbleibenden Trauben, was die Aromenintensität erhöht.
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Ertragsbegrenzung: Auf kalkreichen Böden und in Weinbergen mit geringer Pflanzdichte wachsen die Reben langsamer, was die Anzahl der Trauben pro Rebstock reduziert. So entstehen kleinere, aromatischere Beeren.
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Späte Lese: Müller-Thurgau-Trauben, die länger am Rebstock reifen, entwickeln intensivere Fruchtaromen wie reife Äpfel, Birnen und Zitrusfrüchte. Eine späte Lese sorgt zudem für eine ausgewogenere Säure und mehr Finesse im Wein.
Um dieses Image zu modernisieren, wurde in den 1990er-Jahren verstärkt der Name Rivaner etabliert. Dieser Name, der auf die (vermeintliche) Riesling-Silvaner-Abstammung anspielt, steht für trockene und frischere Weine. Heute symbolisieren Müller-Thurgau und Rivaner zwei unterschiedliche Stilrichtungen derselben Rebsorte: die klassische und die moderne Interpretation.
Ein unterschätztes Talent
Müller-Thurgau mag lange als einfache Alltagsrebsorte gegolten haben, doch unter den richtigen Bedingungen – insbesondere bei einer gezielten Ertragsreduzierung – kann sie Weine hervorbringen, die überraschen und begeistern. Die Herausforderung liegt darin, die Balance zwischen Reife, Frische und Eleganz zu finden. Die Winzer, die sich dieser Aufgabe annehmen, beweisen, dass Müller-Thurgau weit mehr ist als nur ein „Massenwein“.
Spargel und Müller-Thurgau: Ein perfektes Duo
Eine der großen Stärken von Müller-Thurgau liegt in seiner Vielseitigkeit – besonders in der Kombination mit Spargel. Die milde Säure des Weins harmoniert wunderbar mit der leichten Bitternote des Gemüses, während die frischen Aromen von grünem Apfel, Muskat und Kräutern den Geschmack unterstreichen. Besonders in der klassischen Kombination mit Sauce Hollandaise oder zerlassener Butter zeigt Müller-Thurgau seine ganze Klasse: mittelgewichtig, elegant und zugänglich.